Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
www.baustein.dgb-bwt.de   DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.

B.1

Seminarphase: Kennen lernen
PLANUNGSHILFE

B.1 Seminarphase: Kennen lernen; Planungshilfe

Es geht los!

Ankommen, kennen lernen und Erwartungen

Am Anfang eines Seminars suchen alle Orientierung. Sie müssen sich in eine neue Situation einfinden und auf neue Leute einstellen. Das gilt auch für das Team. Der Seminarbeginn ist ein Übergang: ein Ablösungsprozess von Zuhause, von der Arbeit, von FreundInnen und Familie. Oft ist Unerledigtes übrig geblieben, das uns noch im Kopf herumschwirrt. So schwanken wir beim Ankommen zwischen Distanz und Nähe, zwischen dem Wunsch nach Anonymität und Kontaktaufnahme, zwischen dem Bedürfnis nach Orientierung und Unabhängigkeit. Wir wollen Neues erforschen und wagen, ohne Bekanntes zu riskieren.

Ziele

Die erste Phase eines Seminars muss der Gruppe Orientierung geben, weshalb sie auch Orientierungsphase genannt wird. Orientierung ist eine Form von Sicherheit, die – auch wenn es widersprüchlich klingt – gerade dann wichtig ist, wenn Seminare demokratisch-partizipativ und offen für widersprüchliche Standpunkte sein sollen. Der Seminarbeginn muss den Teilnehmenden signalisieren, dass sie erwartet und willkommen sind. Die offizielle Begrüßung ist darüber hinaus eine erste Orientierung auf das Thema und eine Vorstellung des Teams.

Im Anschluss muss ausreichend Zeit sein, dass die Gruppe sich kennen lernen kann. Dabei sollen die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Teilnehmenden bereits Berücksichtigung finden. Erste Erfahrungen mit Selbst- und Fremdwahrnehmung können gemacht werden. Die Teilnehmenden sollen danach die Möglichkeit haben, ihre Erwartungen an das Seminar und seinen Ablauf zu formulieren. Diese sollen in die gemeinsame Verständigung über den durch das Team vorbereiteten Seminarablauf einfließen. Auch die Regeln der Zusammenarbeit sollten durch Team und TeilnehmerInnen vereinbart werden. Dazu gehört auch der Umgang mit Störungen.

Nach diesen intensiven, aber auch anstrengenden Verständigungen kann die Orientierungsphase praktisch und bodenständig abgeschlossen werden: mit einer Klärung der Bedingungen im Haus und am Ort.

Was & Wie? Inhalte und Methoden

Ankommen. Wenn die Teilnehmenden am Seminarort ankommen, nehmen sie erste Eindrücke von der Umgebung und neuen Leuten auf und verschaffen sich eine erste Orientierung. Um das Eis zu brechen, ist es gut, wenn das Team rechtzeitig da ist und Zeit für erste Gespräche und praktische Hinweise hat. Mit einem guten Empfang entsteht ein Stück der nötigen Sicherheit, gut aufgenommen zu werden. Jede/r versucht, sich zu orientieren, indem er / sie Informationen über die anderen sammelt, obwohl die Wahrnehmung – wie sollte es anders sein – durch die Perspektive eigener Erfahrungen und mitgebrachter Stereotype verzerrt ist. Diese Erfahrung der Selbst- und Fremdwahrnehmung wollen wir später im Seminar wieder aufgreifen.

Möglichkeiten zur Gestaltung des Seminarbeginns sind:

  • Stehempfang mit Sekt und Orangensaft oder Mineralwasser,
  • Kleine Information zum Seminar auf den Zimmern,
  • Angenehm gestalteter Seminarrraum,
  • Tafel mit Begrüßungsworten,
  • Interessiertes Team.

Kennen lernen. Je nach Größe der Gruppe und abhängig davon, wie gut die TeilnehmerInnen sich bereits kennen, werden Namens- und Kennenlernspiele in die Anfangsphase eingeplant. Die Kennenlernspiele sollten nicht „Leistungen“ (Funktionsgrade, Vorwissen usw.), sondern die Lebenswirklichkeit der TeilnehmerInnen und ihren Bezug zum Seminar zum Thema machen. Unterschiede sollten dabei besonders wertgeschätzt, zum Ausdruck kommende Mehr- und Minderheitenverhältnisse besonders sensibel aufgenommen werden. Zu Beginn werden oft die Weichen gestellt, was und wer etwas gilt. Es muss deutlich werden, dass die Erfahrungen und Interessen der TeilnehmerInnen in ihren Gemeinsamkeiten und ihrer Verschiedenheit wichtig sind. Erste (überraschende) Einsichten in Wahrnehmungsprozesse können gewonnen werden. In der Kennenlernphase teilen die TeilnehmerInnen einander erste Informationen über sich und ihre Erfahrungen mit und können etwas über andere erfahren: Woher kommen sie? Was denken sie? Mit wem könnte mich vielleicht mehr verbinden?

Eine gemeinsame Gruppen-Begrüßung, in der man etwas über alle erfährt und die sich für Unterschiede begeistert (und der sich noch ein Kennenlernspiel anschließen muss), ist:

AKTIVITÄTWelcome diversity. B.1, –CD

Das Kennenlernen ergänzt eine Aktivität, bei der mitgeteilt wird, was alle aus ihrem Alltag in das Seminar mitgebracht haben:

AKTIVITÄTKoffer auspacken. B.1, Seite 32

Das intensive Kennenlernen einer anderen Person in der Gruppe ermöglicht die:

AKTIVITÄTParterInneninterview. B.1, Seite 33

Wenn sich die Teilnehmenden bereits etwas kennen, ist folgende Aktivität sehr amüsant:

AKTIVITÄTDer Detektiv von Emmelsbüll. B.1, Seite 34

Um anzusprechen, was die Einzelnen auszeichnet und wie sie ihre Herkunft beschreiben, eignet sich die:

AKTIVITÄTNamens-Geschichten. B.1, Seite 35

Zusätzlich zum Kennenlernen geht es bei folgender Aktivität auch um Selbst- und Fremdwahrnehmung:

AKTIVITÄTIch denke, du bist .... B.1, Seite 36

Im Rahmen des Kennenlernens werden die Erfahrungen der Teilnehmenden, auch mit Ausgrenzung und Rassismus, sowie Prozesse der Selbst- und Fremdwahrnehmung nur gestreift. Intensiver kann hierzu im Rahmen der Erfahrungshebung gearbeitet werden:

  KAPITEL B.2, ERFAHRUNGEN.

Erwartungen. Fast nie haben Team und TeilnehmerInnen vor dem Seminar die Möglichkeit, ihre Interessen und Erwartungen für das Seminar miteinander zu besprechen. Das Team erstellt deshalb einen Seminarplan in der Regel mit einer großen Unbekannten: den Erwartungen der Gruppe. Es ist daher wichtig, dass die TeilnehmerInnen die Möglichkeit erhalten, ihre Erwartungen an das Seminar offen zu äußern. Folgende Aktivitäten können dazu genutzt werden:

AKTIVITÄTErwartungsbrief - Brief an mich selbst. B.1, –CD

AKTIVITÄTKartenabfrage: Smalltalk – alle verständigen sich mit ihrem Nachbarn darüber, was sie vom Seminar erwarten. Die Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen und visualisiert.

Die Erwartungen der Teilnehmenden sollten auf jeden Fall mit dem Seminarplan abgeglichen werden. Klar ist, dass die Planungen des Teams nicht völlig über den Haufen geworfen werden können. Aber die Einbeziehung von Fragen und Interessen der TeilnehmerInnen sowie umsetzbare Änderungen des Ablaufs sollten möglich sein. Das Team sollte allerdings auch klar sagen, welche Erwartungen nicht erfüllt werden können. Es ist für viele TeilnehmerInnen schwierig, ihre Erwartungen zu Beginn eines Seminars zu formulieren. Auf die Erwartungsabfrage sollte dennoch nicht verzichtet werden, weil sie dazu anregt, die eigenen Wünsche zu äußern und Einfluss auf den gemeinsamen Prozess zu nehmen. Wer seine Erwartungen einbringt, hat während des Prozesses den Überblick darüber, ob sie auch erfüllt werden. Das Team sollte immer davon ausgehen, dass TeilnehmerInnen ihre Erwartungen zu einem späteren Zeitpunkt formulieren – oft auch als Negativ-Formulierung, wenn die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Diese nachträglichen Formulierungen von Erwartungen sollten immer aufgegriffen werden. Zur Klärung des Seminarplans gehört auch die Klärung der freien Zeit. Auch hier kann es Wünsche der Teilnehmenden geben, die zu besprechen sind.

Vereinbarungen der Gruppe – Wer sagt, wo ’s lang geht? Regeln dienen dem Arbeitsablauf und dem sozialen Miteinander, auch in Seminaren. Regeln sollen weder angeordnet noch stillschweigend vorausgesetzt, sondern vereinbart werden. Bereits am Anfang eines Seminars wird damit gezeigt, dass herrschende Regeln immer von Menschen festgelegt wurden. Wenn es uns um eine Kultur der Beteiligung aller an Entscheidungsfindungen geht, muss dieses Prinzip auch im Rahmen unserer Seminare ernst genommen werden. Die gemeinsame Vereinbarung von Regeln der Zusammenarbeit hilft außerdem, einen befriedigenden Seminarablauf für alle zu organisieren und mit Widersprüchen umzugehen. Wenn Teilnehmende beispielsweise frontalen Einbahnstraßenunterricht erwarten, so kann darüber diskutiert werden. Wichtig ist, dass Vereinbarungen, die zu Beginn des Seminars getroffen wurden, zu jeder Zeit auf den Prüfstand gestellt werden können, wenn sie sich für einzelne oder alle als nicht mehr stimmig erweisen.

Die folgende Aktivität stellt Verfahren zur Vereinbarung von Seminarregeln vor:

AKTIVITÄTRegeln. B.1, Seite 38

Zu den Vereinbarungen über die gemeinsame Arbeit gehört auch, zu vereinbaren, wie mit Störungen und Konflikten umgegangen werden soll. Das Team sollte nach dem Prinzip handeln, dass Störungen Vorrang haben und sich selbst an folgenden Verhaltensweisen orientieren:

  • Sich auf den jeweiligen Gesprächspunkt konzentrieren,
  • geduldig sein,
  • das Thema und seine Bedeutung klar herausstellen,
  • zuhören,
  • den Willen haben, eine Einigung zu erzielen,
  • andere Meinungen respektieren,
  • die gemeinsamen Vorstellungen in den Fokus stellen,
  • dabei dennoch Unterschiede klar benennen und überlegen, was daraus für alle resultiert,
  • Beschwerden vorbringen und Probleme deutlich machen,
  • Wünsche benennen und beachten.

Zur Klärung, ob der Prozess für alle noch gut läuft oder ob es etwas zu besprechen gibt, sind Feedback-Phasen, am besten nach jeder Seminareinheit, wichtig:

METHODEFeedback. B.6, Seite 128

Das Seminarhaus – und der Seminarort. Zu den unveränderbaren Bedingungen eines Seminars gehören der Seminarort und das Seminarhaus. TeamerInnen sollten über Hausregeln, Essenszeiten und sonstige Angebote informieren. Um den Seminarort thematisch kennen zu lernen, bietet sich folgende Aktivität an, die das private Orientierungs- und Freizeitinteresse mit dem Seminarthema verbindet:

Und noch eins ganz zum Schluss: Kaffeepausen sind bei Konferenzen wichtiger als das offizielle Programm. Vielleicht ist das bei unseren Seminaren nicht genauso, aber: Die freien Zeiten nehmen einen großen und wichtigen Teil des Seminars ein. Das Team sollte sich weder aufdrängen, wenn Teilnehmende unter sich sein wollen, noch aus der Freizeitgestaltung herausziehen. In jedem Fall sollte das Team erreichbar, ansprechbar und interessiert an diesem „zweiten Seminar“ sein.

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
  Download: PDF B1-EsGehtLos.pdf