Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.9

Thema: Arbeit global
ARBEITSPAPIER

C.9 Thema: Arbeit global; Arbeitpapier

„Hoch die, nieder mit, vorwärts zum!“

Der Kampf um ArbeitnehmerInnenrechte weltweit

Z war ist es richtig, dass in Europa gewerkschaftliche Rechte in Konflikten und Auseinandersetzungen erkämpft wurden, doch heißt dies im Umkehrschluss nicht, dass in Ländern mit weniger Rechten in der Vergangenheit auch weniger darum gekämpft wurde. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart finden auf der ganzen Welt Kämpfe für menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen statt, nicht selten unter sehr schwierigen oder sogar lebensgefährlichen Bedingungen. Die westlichen Industriestaaten weisen formaljuristisch einen hohen Grad an demokratischen Rechten auf und Menschen in der sogenannten 3. Welt leben häufig unter undemokratischen und willkürlichen Regierungssystemen. Doch sollte dies nicht zur Annahme verleiten, die Europäer müssten anderen in missionarischer Weise Unterricht in Demokratie erteilen. Das in Ländern des Südens Erreichte geht oft über die tatsächliche Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in den Industriestaaten hinaus. Dazu im Folgenden einige Beispiele.

Zum Beispiel: Brukman.

Besetzte Fabriken in Argentinien

Seit Dezember 2001 haben die 56 Näherinnen der Näherei Brukman in Buenos Aires ihre Arbeitsstätte besetzt und betreiben die Fabrik selbst. Am 18. Dezember 2001 um zehn Uhr morgens – zwei Tage vor dem Sturz des damaligen Präsidenten Fernando De la Rúa – wollte sich eine Delegation von Arbeiterinnen mit den Eigentümern, Jacobo und Mario Brukman, treffen, um wie vereinbart einen Teil (150 Peso) des ausstehenden Lohnes zu kassieren. Zuvor hatten die Besitzer von den Arbeiterinnen verlangt, täglich eine Stunde mehr zu arbeiten, um die Firma vor dem Bankrott zu retten; die Löhne wurden zunächst teilweise, zum Schluss überhaupt nicht mehr gezahlt. Seit zwei Jahren führte Brukman schon keine Sozialabgaben mehr ab. Vor der Besetzung kannten die Kolleginnen sich kaum, da ihnen verboten war, von einem Stockwerk ins andere zu gehen, was eine gewerkschaftliche Organisierung verhinderte.

Jetzt ist alles anders. Seit der Besetzung funktioniert die Fabrik quasi wie eine Kooperative. Zweimal in der Woche gibt es interne Vollversammlungen, daneben gibt es eine interne Kommission, der sechs Arbeiterinnen angehören und an die sich alle wenden können, wenn sie etwas vorzuschlagen haben. Es gibt einen Finanzausschuss, der das Geld verwaltet, die Rechnungen bezahlt und die Gehälter berechnet. Zwar ist der Lohn abhängig vom erzielten Gewinn, doch eines ist sicher: Alle bekommen das Gleiche. Die Arbeiterinnen fordern weiterhin die Verstaatlichung unter ihrer Kontrolle. Dann würde der Staat die Löhne garantieren, die Leitung der Fabrik bliebe aber in ihren Händen.

Zweimal wurde schon von der Polizei versucht, die Fabrik zu räumen, doch jedes Mal gelang es den Arbeiterinnen zusammen mit den NachbarInnen, den Volksversammlungen, Arbeitslosenbewegungen (Piqueteros), linken Parteien und StudentInnen, eine Räumung zu verhindern. Das zuständige Gericht hob die Räumung wegen des entschlossenen Widerstands der Protestierenden wieder auf, die Polizei zog sich zurück. Die Fabrik Brukman ist dabei kein Einzelfall. Schätzungen gehen davon aus, dass seit der Wirtschaftskrise in Argentinien im Jahr 2002 rund 1 500 Fabriken besetzt sind und als Kooperative betrieben werden.

Zum Beispiel: MST.

Besetztes Land in Brasilien

Brasilien ist das hochindustrialisierteste Land Südamerikas, es gibt gut bezahlte Angestellte großer Firmen und eine kleine Oberschicht, die sehr reich ist. Von den 165 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern müssen rund 120 Millionen mit weniger als 1 Dollar pro Tag leben. Diese große Kluft zwischen Arm und Reich zeigt sich auch bei der Verteilung des Landbesitzes: Während 1 % der Landbesitzer über 44 % der Fläche verfügt, müssen sich 53 % der Landbesitzer mit nur 3 % der Fläche zufrieden geben, 8 Millionen Menschen sind landlos. 1984 wurde die MST, die Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, eine basisdemokratische Bewegung der Landarbeiter ohne Land, gegründet, die derzeit etwa 5 Millionen Mitglieder hat (Deutsche Gewerkschaften 2002: 7,7 Millionen). Sie ist in 23 der 27 Bundesstaaten aktiv und damit die größte soziale Bewegung Brasiliens.

Leitspruch der MST ist: „Ocupar – resistir – produzir“ (besetzen – widerstehen – produzieren). Umgesetzt wird dies in Form von häufig sehr gefährlichen Landbesetzungen in großem Stil, an der teilweise mehrere Tausend Menschen teilnehmen. Trotz des oft massiven Vorgehens durch Polizei oder privat angeheuerte Paramilitärs – so wurden beispielsweise allein im Jahr 1996 fast 1000 LandarbeiterInnen, GewerkschafterInnen und Priester bei Landkonflikten getötet – sind die Erfolge der MST beachtlich: 300 000 Familien wurden bereits angesiedelt, 80 000 Familien leben derzeit auf besetztem Land, rund 1000 eigenständig betriebene Schulen für rund 100 000 Kinder wurden gegründet. Die Besetzung von Land erfolgt in sogenannten Acampamentos, in denen die Menschen in provisorischen Hütten leben. Die Acampamentos haben eine basisdemokratische Struktur, deren Grundlage die Basiseinheiten „núcleos de base“ sind, die 10 bis 30 Familien umfassen. Für Bereiche wie Ernährung, Gesundheit, Sicherheit oder Finanzen werden Ausschüsse gebildet, zu der jede Basiseinheit einen Verantwortlichen entsendet. Oberstes Entscheidungsgremium ist die regelmäßig einberufene Vollversammlung.

Gefordert wird von der MST Landbesitz für alle sowie die Ausrichtung der Produktion auf die Ernährungssicherheit der Bevölkerung statt einseitiger Exportproduktion. Daneben streitet die MST für eine ausreichende Bildung für alle und eine menschenwürdige, egalitäre Gesellschaft.

Die Arbeit der MST ist sowohl in Brasilien als auch international geschätzt und anerkannt, so erhielt die Landlosenorganisation 1991 den alternativen Nobelpreis. Zwischen der IG Metall Jugend und der MST gibt es eine konkrete Zusammenarbeit.

Kontakte:

Landlosenbewegung MST
Movimento dos Trabalhadores
Rurais Sem Terra
Egidio Brunetto
Rua Dom Aquino, 414
BR - 79 00 83 10 Campo Grande
MS., Brasil
E-Mail: semterra@mst.org.br
www.mst.org.br
(Kontakte sind auch in deutscher Sprache möglich)

Freundinnen und Freunde der MST, Deutschland:
www.mstbrasilien.de

IG Metall Vorstand
-Ressort Jugend, Arbeit und Politik-
Bernhard Dobbert
Wilhelm-Leuschner-Str. 79
60329 Frankfurt/Main
Tel: 069/6693-2366
Fax: 069/6693-2020
E-Mail: jugend@igmetall.de
www.jugend.igmetall.de

DGB-Bildungswerk
Nord-Süd-Netz
Hans-Böckler-Straße 39
40476 Düsseldorf
E-Mail: nord-sued-netz@dgb-bildungswerk.de
www.nord-sued-netz.de
Tel.: 02 11 / 43 01 - 0
Fax: 02 11 / 43 01 - 500

Zum Beispiel: SADSAWU.

Hausangestellte in Südafrika

Sie sind Köchin, Putzfrau und Kindermädchen in einer Person: Die fast ausschließlich schwarzen Hausangestellten in Südafrika. Sie leben isoliert bei Ihren Dienstfamilien, müssen rund um die Uhr zur Verfügung stehen und bekommen nur minimale Löhne. Oftmals werden sie zudem von ihren „Dienst-Herren“ sexuell missbraucht. Rund 18 % der Arbeitskräfte in Südafrika sind Hausangestellte, für sie hat sich seit dem Ende der Apartheid kaum etwas geändert. Doch seit April 2000 gibt es die Gewerkschaft SADSAWU (South African Domestic Services and Allied Workers‘ Union), die die Hausangestellten organisiert und für ihre Rechte einsteht.

Ein Hindernis bei der Organisierung, besonders auf dem Land, spielt die Isolation der Hausangestellten, die oft noch nicht wissen, dass sie sich mittlerweile gewerkschaftlich organisieren dürfen. Viele ehrenamtliche MitarbeiterInnen fahren in ihrer Freizeit in abgelegene Orte, um mit Hausangestellten Kontakt aufzunehmen. Die Transportkosten tragen sie oft selbst. Im eigenen täglichen Überlebenskampf eine erhebliche zusätzliche Belastung. An Bushaltestellen, in Sammeltaxis oder vor Supermärkten werden seitdem Informationsblätter verteilt, um die teils sehr isoliert lebenden Hausangestellten über die Gewerkschaft und ihre Ziele aufzuklären.

Erste Erfolge stellten sich bereits ein: Im August 2001 wurde ein gesetzlicher Mindestlohn von 500 bis 800 Rand für eine 45-Stunden-Woche vorgeschrieben, die SADSAWU hatte 1200 Rand gefordert. Dies ist dennoch ein Erfolg, da der Lohn bisher bei rund 200 Rand bei ungeregelter Arbeitszeit und ständiger Verfügbarkeit lag. Inzwischen steht SADSAWU auch Männern offen, die als Chauffeur, Koch oder Gärtner beschäftigt sind. Neben dem Kampf für ArbeitnehmerInnenrechte spielt der Bereich der Bildung eine wichtige Rolle in der täglichen Arbeit. Hier ist hier vor allem die Aufklärung über gesundheitliche Fragen, wie die Ansteckungsgefahren durch AIDS zu nennen. Trotz der schwierigen Bedingungen wächst die SADSAWU stetig.

Kontakt:

DGB Bildungswerk e. V. / Nord-Süd-Netz
Hans-Böckler-Straße 39
D - 40476 Düsseldorf

Fragen:

  • Was empfindet ihr bei den Beispielen – machen diese Mut oder sind sie eher „exotisch“?
  • Was hat euch daran gefallen, was nicht?
  • Gibt es Möglichkeiten, solche Kämpfe zu unterstützen? Worin bestehen sie, was kann getan werden?
  • Welche Ideen und Aktionen sind auf das eigene Leben und auf Arbeitskämpfe und sozialen Widerstand in Deutschland übertragbar, welche eher nicht? Warum?
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