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C.8

Thema: Migration
HINTERGRUND

C.8 Thema: Migration; Hintergrund

Asyl – das ausgehöhlte Grundrecht

1948 / 49 beriet der Parlamentarische Rat über die künftige Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland - auch über ein Grundrecht auf Asyl. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die politische Verfolgung während der nationalsozialistischen Herrschaft und die Emigration vieler Deutscher noch unmittelbar vor Augen. Am Ende der Debatten stand der Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“

Nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes beschäftigte sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit bis in die 70er Jahre hinein nur wenig mit dem Thema Asyl. In den 50er und 60er Jahren waren es überwiegend Menschen aus Osteuropa, die in der Bundesrepublik Schutz vor politischer Verfolgung suchten, die Zahl der Anträge überschritt kaum einmal die Marke von 5 000.

Angeblicher „Missbrauch des Asylrechts“

Seit Anfang der 70er Jahre beantragten mehr Menschen aus Asien und Afrika politisches Asyl, und es tauchten erstmals Probleme bei der Unterbringung der Flüchtlinge auf. Am Ende des Jahrzehnts wuchs die Zahl der Asylsuchenden deutlich an, von 33 136 im Jahr 1978 auf 107 818 im Jahr 1980. Damit kamen auch die ersten Bestrebungen zur Beschränkung des Asylrechts auf: 1977 erließ das Bundesinnenministerium neue, restriktivere Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz. Zur gleichen Zeit fanden einige Begriffe Eingang in die politische Debatte, die Zuwanderung und Asylrecht als Problem darstellen: Bei einer Innenministerkonferenz Anfang 1978 beispielsweise ging es um Maßnahmen gegen den „Missbrauch des Asylrechts“.

Ab 1989/90: starke Zuwanderung aus Osteuropa

Nach dem gesellschaftlichen Umbruch in Osteuropa erreichten die Asylbewerberzahlen neue Spitzenwerte; 1989 wurden 121 318, 1992 schon 438 191 Anträge auf Asyl gestellt. Dabei stammte nun die Mehrzahl der Asylsuchenden aus europäischen Ländern. 1993 waren es 72,1 % (15,6 % kamen aus Asien, 11,7 % aus Afrika).

Mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen meldeten sich immer mehr PolitikerInnen zu Wort, die die Aufnahme von Asylsuchenden als herausragendes soziales Problem darstellten. Konsequenz war die Forderung, das Grundrecht auf Asyl massiv zu beschneiden. Zugleich kam es zu einer in der Nachkriegsgeschichte noch nicht da gewesenen Welle des gewalttätigen Rassismus, als deren Höhepunkte die Pogrome von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen in Erinnerung geblieben sind. In der politischen Diskussion wurde die gestiegene Zahl der Asylsuchenden als Ursache des Rassismus hingestellt, die Flüchtlinge zu Sündenböcken gemacht.

Mit dem Zusammenbruch der „realsozialistischen“ Systeme in Osteuropa gab es keinen politischen Gegner mehr, der durch die Aufnahme von Flüchtlingen hätte diskreditiert werden können. Damit ging das Interesse am Erhalt des Asylrechts zurück. In der Folge wurden Auslegung und praktische Handhabung des Asylrechts immer restriktiver. In der Rechtsanwendung bildete sich die Meinung heraus, dass nur im engen Sinne politische Gründe einen Anspruch auf Asyl rechtfertigen. Lebensbedrohliche Umstände wie Hungersnöte, Kriege und Bürgerkriege zählen nicht dazu, deren politische Ursachen spielen keine Rolle.

Auch dann, wenn die politische Verfolgung nicht vom Staat ausgeht, wird das Recht auf Asyl versagt. Zum Beispiel im Fall des algerischen Menschenrechtlers B.: Bevor er 1994 nach Deutschland kam, war seine Wohnung mit einem Molotow-Cocktail beworfen worden und in Flammen aufgegangen. Zusammen mit seiner Frau war er auf der Straße von Fundamentalisten bedroht worden, sein Name auf einer öffentlich verbreiteten „Todesliste“ religiöser Fanatiker erschienen. Sein Asylantrag wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Die enge Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung trifft Frauen in besonderer Weise - sexistische Verfolgung und sexuelle Gewalt werden meist als nicht politisch gewertet. Eine Marktfrau aus Zaire etwa wurde bei einer Demonstration von Soldaten festgenommen und anschließend von deren vorgesetztem Offizier mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte ihren Asylantrag ab.

Abschottung gegen Flüchtlinge: Artikel 16a Grundgesetz

Vorläufiger Höhepunkt der zahlreichen Bestrebungen, den Anspruch auf Asyl zu beschneiden, die Einreise von Asylsuchenden zu verhindern oder auch das Asylverfahren zeitlich zu begrenzen, war die Änderung des Grundgesetzes (GG) im Mai 1993. Mit diesem Eingriff in die Verfassung wird ein großer Teil der Asylsuchenden vom Asylverfahren ausgeschlossen. Viele Flüchtlinge werden von vornherein daran gehindert, nach Deutschland zu kommen und einen Asylantrag zu stellen. In einem neuen Artikel 16 a ist zwar weiterhin der Grundsatz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ festgehalten, danach folgen jedoch massive Einschränkungen: So dürfen Flüchtlinge, die aus einem „sicheren“ Drittstaat einreisen, sich nicht auf diesen Grundsatz berufen. Dabei werden sämtliche Nachbarstaaten der Bundesrepublik zu sicheren Drittstaaten erklärt und damit alle auf dem Landweg einreisenden Flüchtlinge vom Asylgrundrecht abgeschnitten; die deutschen Behörden weisen sie bereits an der Grenze ab. Die Konstruktion der „sicheren“ Drittstaaten wirkt wie eine Mauer, mit der Deutschland sich gegen Flüchtlinge abschottet. Wer auf dem Luftweg aus einem „sicheren“ Herkunftsstaat ankommt, wird für die Dauer des verkürzten Verfahrens auf dem Flughafen untergebracht.

Die Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl in Artikel 16 a GG ließ die Zahl der AsylbewerberInnen erneut sinken. 1993 (das neue Recht trat Mitte des Jahres in Kraft) lag sie bei 322 599, seitdem sinken die Anträge bis auf 71 127 im Jahr 2002. Dabei ist die Zahl der Menschen auf der Flucht seit 1993 keineswegs zurückgegangen – Deutschland hat sich lediglich seiner Mitverantwortung für die Aufnahme der Flüchtlinge entzogen: Durch Artikel 16 a und begleitende gesetzliche Regelungen ist dafür gesorgt, dass Hunderttausende, die in Deutschland einen Asylantrag stellen wollen, vom deutschen Staatsgebiet ferngehalten werden. Die Angleichung der Flüchtlingspolitik in der EU (u. a. über das Schengener Abkommen) sorgt dafür, dass nicht nur die Bundesrepublik ihre Grenzen für Asylsuchende dicht macht: Es ist eine „Festung Europa“ geschaffen worden.

Dabei erreichen nur wenige Flüchtlinge Europa: In den 90er Jahren, so wird geschätzt, waren weltweit rund 50 Millionen Menschen auf der Flucht, nur etwa 700 000 davon suchten im Jahr 1992 in Westeuropa Asyl. 1995 – nach Durchsetzung der weitreichenden Abschottungspolitik - waren es weniger als 300 000.

Einigen droht durch die Drittstaatenregelung Gefahr für Leib und Leben, wenn sie im Laufe einer Kettenabschiebung in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Denn die auf der Flucht durchquerten „sicheren“ Drittstaaten wenden vielfach ihrerseits eine Drittstaatenregelung an und schieben Flüchtlinge in Länder ab, in denen sie wiederum vor einer Abschiebung in das Verfolgerland nicht sicher sind.

Wo Flüchtlinge nun schutzlos gestellt sind, können sie oft nur durch zivilen Ungehorsam vor weiterer politischer Verfolgung geschützt werden – etwa durch die Aufnahme ins Kirchenasyl.

Unzumutbare Lebensbedingungen für Flüchtlinge

Gleichzeitig müssen Flüchtlinge, denen es gelungen ist, zumindest vorläufig legale Zuflucht in Deutschland zu erhalten, unter menschenunwürdigen Bedingungen leben: Das 1993 verabschiedete Asylbewerberleistungsgesetz gesteht ihnen nur 80 % des Sozialhilfesatzes zu, den deutsche LeistungsempfängerInnen beziehen. Außerdem dürfen Asylsuchende erst nach einem Jahr arbeiten und erhalten nur dann eine Arbeitserlaubnis, wenn der Arbeitsplatz nicht an bevorrechtete Personen vergeben werden kann. Schließlich sind die meisten Asylsuchenden gezwungen, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben. Dort herrschen aber oftmals unzumutbare Verhältnisse – wie zum Beispiel im Flüchtlingsheim Jena-Forst. ARBEITSPAPIEREuer Recht, das Schicksal der Asylbewerber unter euch zu kennen. C.8, Seite 335

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
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Sicherheit und Gewalt
C.6
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C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
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C.10
Diskriminierung
D
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E
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