Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.3

Thema: Rassismus
HINTERGRUND

C.3 Thema: Rassismus; Hintergrund

Deutscher Kolonialismus in Afrika

Aspekte einer Chronologie

Koloniale Interessen

Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 unter Kaiser Wilhelm und Reichspräsident Bismarck wurde Deutschland zum Nationalstaat und im Zuge der Industrialisierung zur wirtschaftlichen Großmacht. In dieser Zeit waren es zunächst Industrielle, Kaufleute, Forscher, einzelne Politiker und seit den frühen 1880er Jahren auch die immer zahlreicher werdenden Kolonialvereine, die nach dem Beispiel Spaniens oder Portugals eine Notwendigkeit für die Gründung deutscher Kolonien sahen. Der Kolonialismus sollte die gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte ausgleichen, die sich aus der kapitalistischen Entwicklung ergeben hatten. Die BefürworterInnen deutscher Kolonialpolitik argumentierten damit, dass neue Absatzmärkte für deutsche Exportprodukte erforderlich seien und, dass Kolonien zusätzliche Möglichkeiten der Kapitalanlage (z. B. im Eisenbahn- oder Bergbau) bieten würden. Zudem wollte man billige Rohstoffe einführen. Ein einendes „Herrenmenschengefühl“ und die Teilhabe aller Deutschen an den neuen günstigen Produkten aus den Kolonien sollte soziale Konflikte innerhalb Deutschlands glätten. Die Ausbeutung der Kolonisierten, die für ihre Arbeit wenig bis keinen Lohn erhielten, bot neue Profitmöglichkeiten und sollte die deutsche Wirtschaft stärken.

Es mehrten sich die Stimmen, die forderten, dass das Reich bei der laufenden „Aufteilung der Welt“ nicht zurückstehen dürfe, sondern die Schwelle zur Weltmacht überschreiten müsse. Unterstützt wurden diese Forderungen durch unzählige Romane und Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen, in denen die Kolonisation als fesselnde Abenteuererzählung dargeboten wurde. Diese Geschichten vermittelten ein Sendungsbewusstsein, mit dem die Deutschen geradezu verpflichtet wären, Afrika „kulturell“ zu missionieren. Viele Deutsche waren zur Auswanderung und zu einer Beteiligung an den kolonialen Eroberungen bereit: aus einem christlichen oder fortschrittsgläubigen Überlegenheitsgefühl, aus wirtschaftlicher Not oder aus Profitinteresse. Dass dieses koloniale Sendungsbewusstsein von der Minderwertigkeit der Kolonisierten ausging, wurde mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit hingenommen.

Die Politik der kolonialen Eroberung

Bismarck, der dem Plan zur Gründung deutscher Kolonien aus außenpolitischen und finanziellen Gründen anfangs eher ablehnend gegenüberstand, unterstützte ab 1884 die Kolonialbewegung. Er wollte die aktuelle weltpolitische Schwäche Englands und Frankreichs nutzen und versprach sich von seinem Engagement für deutsche Kolonien einen Wahlerfolg bei den bevorstehenden Reichstagswahlen. Auf der „Kongo-Konferenz“ in Berlin 1884 / 1885 sicherten sich die europäischen Kolonialmächte – darunter jetzt auch Deutschland – gegenseitige Gebietsrechte über afrikanisches Land zu. Fortan erteilte der Deutsche Kaiser „Schutzbriefe“ für die Gebiete Ostafrika (heute Burundi, Ruanda und Tansania), Südwestafrika (heute Namibia), Togo und Kamerun. Auf dieser Grundlage schlossen „Afrikaforscher“ und Kaufleute wie Adolf Lüderitz, Carl Peters oder Joachim Pfeil „Schutzverträge“ mit der Bevölkerung dieser Länder, indem die afrikanischen Gebiete zu „Schutzgebieten“ des Deutschen Reichs erklärt wurden.

1891 übernahm das Reich die Verwaltung dieser Kolonien. Die afrikanischen Gebiete wurden nun von deutschen Gouverneuren geführt, die der Kaiser ernannt hatte. Nach und nach wurde eine eigene koloniale Wirtschafts- und Sozialstruktur errichtet.

Zur kolonialen Verwaltung gehörte eine Steuer, die als „Hüttensteuer“ jedem Haushalt der einheimischen Bevölkerung auferlegt wurde. Bis dahin hatten sich die Menschen selbst versorgen können. Nun mussten sie sich in Arbeitsverhältnisse und damit Abhängigkeit von den KolonisatorInnen begeben. Mit den Steuern, die in Naturalien, Geld oder durch Arbeit auf Plantagen abgezahlt werden konnten, entstand ein Zwang zur Arbeit im Dienst der KolonialherrInnen. Gegen diese Steuer fanden bis 1901 bereits 25 Aufstände statt.

Widerstand gegen die Kolonialisierung

Im März 1905 wurde die „Hüttensteuer“ in Ost-Afrika zu einer „Pro-Kopf-Steuer“, was eine vielfache Erhöhung bedeutete. Um für die Steuer aufkommen zu können, musste ein Großteil der Bevölkerung auf Baumwollplantagen arbeiten – eine äußerst harte Arbeit, bei der viele Menschen starben. Im Juli 1905 gab es eine Rebellion auf einer der Plantagen, die sich zu einem offenen Kampf gegen die Kolonialherrschaft entwickelte. Die ersten Erfolge der Aufständischen bewirkten eine Ausweitung der Kämpfe auf den gesamten Süden sowie weitere Gebiete von Ost-Afrika. Die deutschen Truppen reagierten mit der „Politik der verbrannten Erde“: Sie brannten ganze Dörfer nieder, beschlagnahmten Vieh und Vorräte, vergifteten Brunnen und vernichteten die Ernten auf den Feldern. Damit entzogen sie der widerständigen Bevölkerung die Lebensgrundlage. 1906 galt der Aufstand offiziell als beendet – tatsächlich dauerten die Kämpfe noch bis 1908 an.

Den wohl größten Aufstand gegen die Kolonialherrschaft gab es in „Deutsch-Südwest“, als der „Schutzvertrag“ mit den dort lebenden Hereros gebrochen wurde, indem der Eisenbahnbau die Weideplätze der Hereros und damit ihre Lebensgrundlage zerstörte. Daraufhin griffen die Hereros 1904 deutsche Farmen und vereinzelt auch Militärstützpunkte an. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. General von Trotha erließ bereits 1904 den Befehl, alle Hereros innerhalb der deutschen Kolonie zu erschießen. 1907 war der Aufstand offiziell beendet – von etwa 80 000 Hereros hatten höchstens 15 000 überlebt. Lothar von Trotha schrieb in einem Brief: „Ich kenne genug Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld.“ (zitiert in: Schürmann)

Koloniale Expansion

Eine Reichstagsmehrheit aus SPD und Zentrum verweigerte infolgedessen 1906 ihre Zustimmung zu zusätzlichen Geldern für die Schutztruppen. Kaiser Wilhelm der II. antwortete darauf mit der Auflösung des Reichstags. Im folgenden Wahlkampf für den neuen Reichstag 1907 standen die Auseinandersetzungen um die Kolonien im Mittelpunkt. Letztlich gewann eine Koalition aus liberalen und konservativen Parteien – die für einen wirtschaftlichen Aufschwung in den Kolonien sorgen wollte.

1911 erreichte die koloniale Expansion des Reiches mit einer Vergrößerung der Kolonie in Kamerun ihren Höhepunkt. Die Bedeutung der überseeischen Gebiete für die Ansiedlung von Deutschen war allerdings vergleichsweise gering. Lediglich etwas mehr als 20 000 Deutsche lebten in den Kolonien, viele davon als Soldaten, Polizisten, Verwaltungsbeamte oder Missionare. Weitere arbeiteten als Pflanzer oder Farmer. Da es sich bei den Auswanderern zunächst mehrheitlich um Männer handelte, wurden Frauen gezielt angeworben – durch sie sollte der Anteil der weißen Bevölkerung in den Kolonien erhöht werden. Für Männer wie Frauen bedeuteten die Auswanderung und die Rolle als KolonialherrInnen einen gesellschaftlichen Aufstieg, verbunden mit wirtschaftlicher und persönlicher Macht über die Kolonisierten.

Das offizielle Ende der Kolonialzeit

Während des ersten Weltkriegs bzw. mit seinem Ende wurde die deutsche Kolonialherrschaft über die afrikanischen Gebiete beendet. Nach der Ausrufung der Republik im November 1918 wurde das Reichskolonialamt vom neuen Reichskanzler Friedrich Ebert (SPD) aufgelöst. Durch den Friedensvertrag von Versailles verlor das Reich im Juni 1919 offiziell alle Kolonien: „Art. 119. Deutschland verzichtet zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen.“

Damit war Deutschlands Kolonialzeit offiziell beendet – seine Kolonialisierungsbestrebungen allerdings längst nicht. Während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus arbeiteten und warben die Kolonialvereine weiter und forderten: „Deutschland muß – Deutschland wird wieder Kolonialmacht werden“ (Sondernummer „Kolonien“ der Zeitschrift Die Woche vom 16. 5. 1931). Und noch in den 50er Jahren existierte ein „Bund der Deutsch-Togoländer“, der den Plan hatte, Togo zu Deutschlands 12. Bundesland zu machen ...

Literatur:
Schürmann, Felix : Deutscher Kolonialismus. www.stud.uni-hannover.de/user/67768/afrika/kolonialismus.html 18. 03. 2003

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A
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B.1
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B.3
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B.4
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B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
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C.5
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C.6
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C.7
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C.8
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C.9
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C.10
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D
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E
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