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C.2

Thema: Antisemitismus
ARBEITSPAPIER

C.2 Thema: Antisemitismus; Arbeitspapier

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Verschwörungstheorien – eine Checkliste

Den Gefühlen trauen, nicht dem Verstand!

Verschwörungstheorien sind von einer stark vereinfachenden Denkweise geprägt. Politische Verhältnisse und deren Regelung werden nicht als Ergebnisse sozio-ökonomischer Fakten verstanden, sondern aus schicksalhaften oder biologischen Lebenszusammenhängen abgeleitet.

Geheimwissen!

Verschwörungstheoretiker schreiben oft voneinander ab und benutzen gern uralte Quellen. Wer ihre Bücher liest, kann den Eindruck gewinnen, dass tatsächlich eine Weltverschwörung existiert, weil so viele Autoren immer wieder die gleiche Behauptung aufstellen. Verschwörungstheoretiker lehnen das gewöhnliche Wissen ab und ziehen unbekanntere Varianten vor. Ihr Wissen geben sie natürlich nicht gern preis. Das zeigt sich gewöhnlich an passiven Verben und unbestimmten Pronomen („sie“). Verschwörungstheoretiker wittern überall Heimlichkeit und die Tarnung neuer Verschwörungen. Sie selbst machen Enthüllungen und erfinden Tabus, die sie wagemutig brechen.

Keine Fragen, sondern fertige Antworten

Der Kern aller Verschwörungstheorien ist eine Weltsicht, für die nur noch Begründungen gesucht werden. Verschwörungstheoretiker sagen zwar: „Wir fragen ja nur“, aber sie haben ihre Antworten längst. Verschwörungstheorien sind geschlossen und haben auf alles eine Antwort. Fragen gibt es nicht mehr.

Wiederholung produziert Wahrheitseffekte!

Verschwörungstheorien variieren immer wieder dieselben Kernthesen. Zu den Lieblingsthemen gehören Geheimbünde und jüdische Weltverschwörungen.

Abschottung gegen Gegenbeweise!

Widersprechende Beweise sind nur Indizien für die Verschwörung, so die Verschwörungstheoretiker. Es gibt eine beinahe unkritische Akzeptanz jedes Arguments, das auf eine Verschwörung hindeutet. Verschwörungen gelten als der eigentlich treibende Motor der Geschichte. Zufälle und Fehler, gibt es nicht mehr. Alles folgt einem Plan. Dabei trügt der äußere Schein. Das Verschwörungsdenken ist absolut und lässt keine Kritik zu: Jeder Widerspruch wird einfach zum Teil der Verschwörung erklärt.

Hinter allem steht eine dunkle Macht!

Verschwörungstheorien inszenieren ein Macht-Ohnmachtverhältnis. „Wir“ sind dabei immer Opfer. Es gibt keine anderen Handlungsgründe mehr, außer die der Macht. Vorteilsgewinn bedeutet Kontrolle. Wer einen Gewinn aus etwas zieht, muss es selbst auch verursacht haben. Hinter dem vorgeblichen Denken an andere steht nur eine besonders hinterhältige Form von Egoismus. Hinter einem Ereignis ohne Planungsstab steht eine besonders geheime Steuerung. Was aussieht wie straffe Führung bedeutet in Wirklichkeit fehlende Führung. Und das Böse hat Name und Adresse! Verschwörungstheorien personifizieren, sie machen Personen oder Personengruppen für „das Böse“ verantwortlich. Sie pflegen eine polarisierte Weltsicht, es gibt nur noch gut / böse, wir / sie, schwarz / weiß. Dabei sind Wesensbehauptungen im Sinne von „Sie sind einfach so“ häufig. In dieser zugespitzten Logik gibt es einen Trend zu existentiellen Alternativen und zu letztendlichen Lösungs- und Erlösungsvorstellungen wie z. B. „Sieg oder Untergang“, „Endkampf“, „wir oder sie“, „es ist fünf vor zwölf“. Der katastrophische aufgedreht-hysterische Stil ist dabei völlig normal.

Es gibt überall Feinde, traue keinem!

Verschwörungstheorien sind von einem stereotypen Freund-Feind-Denken geprägt. Dabei sind vermeintliche Freunde geheime Feinde und vermeintliche Feinde Freunde. Ganz unterschiedliche Feinde werden zu einer einheitlichen Feindgruppe zusammengedacht, gegen die dann mit einer Art Gegenverschwörung vorgegangen werden soll. Das Ziel kann die absolute Macht der Gegenverschwörer und die Vernichtung der Verschwörung und ihrer Träger sein. Die Menschen werden von der Notwendigkeit einer starken Hand gegen die übermächtigen Verschwörer überzeugt. Argumentiert wird zwar im Namen von Gerechtigkeit und Demokratie, der Weg dorthin soll aber ein autoritärer sein.

Scheinwissenschaft und lange Vorgeschichte!

Verschwörungstheoretiker sichern sich durch eine Vielzahl zitierter Personen, gern auch Wissenschaftler, ab. Manche Theorien machen einen Schmuddeleindruck, die meisten aber lesen sich wie Sachbücher. Dabei wird die Ursache für das wahrgenommene Problem oftmals sicher in eine graue Vorzeit verlegt.

Alles Täuschung!

Was wir wahrnehmen, ist nicht die Realität, meinen die Verschwörungstheoretiker. Denn reale Personen sind für sie nur Stellvertreter und Marionetten für höhere Mächte und ihre angegebenen Ziele sind nur Tarnungen für geheimbündlerische Interessen.

„Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil der europäischen Kultur. Man kann das prima testen: Sagen Sie in einer Runde zu Ihren Freunden, an allem seien die Juden und die Radfahrer schuld. Neun von zehn werden fragen: Warum die Radfahrer? Dem Phantasma der jüdischen Weltherrschaft ist mit keiner Aufklärung beizukommen, es ist Teil des kollektiven Bewusstseins.“
Hendryk Broder

Bloss nichts ändern (müssen)!

Der feste Glaube an Verschwörungstheorien ermöglicht ein ruhiges Leben. Wer glaubt, hinter dem, was passiert, stecken dunkle Mächte, denen er ausgeliefert ist, der muss nicht genau hinschauen, wo er dem, was ihn stört blind oder ohnmächtig gegenübersteht. Und wo er vielleicht dazu beiträgt, dass die Dinge bleiben, wie sie sind. Oder wo er Ansatzpunkte hätte, zusammen mit anderen etwas zu verändern. Schuldzuweisungen an andere wirken sehr entlastend.

Antisemitismus und andere reaktionäre Ideologien!

Es gibt ein Bedürfnis, diejenigen, die man nicht leiden kann, für Katastrophen verantwortlich zu machen. Verschwörungstheoretiker fühlen sich vom Leben betrogen. Für ihr eigenes Scheitern machen sie dunkle Mächte verantwortlich und übertragen das auf die globale Situation. Für sie ist es ein Trost, dass die Welt so funktioniert, wie ihnen selbst mitgespielt worden ist. In Deutschland verknüpft sich das Gefühl ausgeliefert zu sein, mit dem Bedürfnis nach geschichtlicher Unschuld, dem Bedürfnis, Opfer statt Täter zu sein. Verschwörungstheorien transportieren oft antisemitische und revisionistische Inhalte und erinnern stark an totalitäre Ideologien. Dazu gehört die Verwendung von antisemitischen Stereotypen und die Behauptung „typisch jüdischer Eigenschaften“ ebenso, wie die Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung und die vermeintliche Steuerung der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Eliten durch Juden. Zu den aktuellen Versionen des Verschwörungsdenkens gehört das Unterstellen einer kollektiven Verantwortung aller Juden für die Politik der israelischen Regierung und die Idee, dass hinter dem Zionismus das Interesse nach Herrschaft über die ganze Welt stecke. Der konspirative Antisemitismus, der Juden ein besonderes Interesse an (globaler) Macht nachsagt, gehört zu den ältesten antisemitischen Argumentationsmustern. Er ist verknüpft mit christlichen Bildern, mit der Identifikation der Juden mit Geld oder Kapitalismus an sich und der Idee, Israel sei der Staat mit den fähigsten und gefährlichsten BewohnerInnen der Welt.

Hoher Spaßfaktor, Stolz auf den eigenen guten Überblick!

Verschwörungstheorien machen Spaß, sie produzieren ein schwindelerregendes Gefühl. Verschwörungstheorien geben denen, die sie aufstellen, das Gefühl besonders schlau zu sein, zu den wenigen zu gehören, die die wahren Regeln der Welt kennen.

Warum Verschwörungstheorien?

  • Entweder weil man sich die Dinge selbst nicht anders erklären kann, oder als bewusste Propaganda.
  • Achtung: Man muss zwischen denen unterscheiden, die Weltverschwörungstheorien aus politischem Kalkül (Sündenbockstrategie) in die Welt setzen und jenen, die deren Schriften Glauben schenken. Es sind nicht nur Spinner oder Paranoiker, sondern manchmal auch kritische Menschen, die an diese Wahnideen glauben. Belehrungen sind oft sogar kontraproduktiv. Die Verführungskraft der Weltverschwörungsmythen muss verstanden und auch gefühlsmäßig erfasst werden.
  • Wenn wir uns in die Verhältnisse geworfen fühlen – ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu sehen zu glauben – oder, wenn die bedrohlichen Seiten der gesellschaftlichen Entwicklung in den Vordergrund rücken, können Verschwörungsthesen scheinbare Aufklärung geben. Wer sich entfremdet fühlt und die Welt als feindlich betrachtet, freut sich, wenn der Urheber dessen, was einen beunruhigt, benannt werden kann. Verschwörungstheorien können „die Dunkelheit der Realität erhellen, wie ein Scheinwerfer, der rasche und umfassende Orientierung gewährt.“ (Adorno, 1974, S. 123f.)
  • Hinter dem Vergnügen an Verschwörungstheorien steht die Hoffnung, dass man selbst und das was einem geschieht, Bedeutung erlangt. Hinzu kommt die Wichtigtuerei mit angeblich besonderem Wissen, eigene Machtgier und das erhebende Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören.

Gegen Verschwörungstheorien hilft:

Der hartnäckige Logiktest!

Die Unlogik der Mythen enthüllen

Geschichtsinformationen!

Die Frage, mit wem man dann im Boot sitzt!

Die Frage, ob man sich mit NS-Denken gemein machen will und der Nachweis ähnlicher Denkstrukturen und Feindbilder.

Analysen und eine solidarische Sozial- und Wirtschaftspolitik …

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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