Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
www.baustein.dgb-bwt.de   DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.

A

Einführung
KONZEPT

Einführung - Konzept

Unser Konzept

Noch eine Handreichung für die Bildungsarbeit gegen Rassismus? Schon wieder ein Appell, Rassismus nicht zu ignorieren? Ja und Nein. Ja, weil es noch immer nicht selbstverständlich ist, Rassismus in der Bildungsarbeit entgegen zu treten. Nein, weil es uns nicht nur darum geht, ob Rassismus zum Thema gemacht wird, sondern wie.

WIR – Die AutorInnengruppe besteht aus mehr als 15 Menschen aus verschiedenen Bereichen der Bildungsarbeit. Viele von uns konzipieren Bildungsangebote für gewerkschaftliche und gewerkschaftsnahe Träger, einige für andere Bereiche der Jugend- und Erwachsenenbildung. Wir sind sehr verschieden, beispielsweise in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, soziale Situation, Alter und innerdeutsche Herkunft. In Bezug auf Rassismus gehören wir als weiße Deutsche oder Staatsangehörige anderer europäischer Länder alle zur Mehrheitsgesellschaft. Das heißt, wir handeln aus der Sicherheit heraus, nicht rassistisch diskriminiert zu werden, und wir können uns aussuchen, ob wir diese Erfahrung mit bedenken. In dieser Perspektive liegen die Grenzen unseres Materials. Schwarze und migrantische Trainingskollektive bieten in ihren Workshops andere Perspektiven, in denen sich Menschen, die selbst rassistisch diskriminiert werden, besser wiederfinden.

Der Baustein ist geeignet für die gewerkschaftliche und außerschulische Bildungsarbeit, einige Materialien und Aktivitäten sind auch in der Schule einsetzbar. Er stellt eine Fundgrube dar für erfahrene und neue TeamerInnen, experimentierfreudige LehrerInnen, neugierige KongressorganisatorInnen, aktionsorientierte Initiativen und andere Interessierte. Im Folgenden stellen wir unsere Ziele, Ansatzpunkte, Inhalte und methodischen Prinzipien vor.

Warum? Unsere Ziele

Für Gerechtigkeit und Gleichstellung – Analyse der Verhältnisse, um sie zu verändern.

Wir analysieren die Gesellschaft, um sie zu verändern. Gerechtigkeit und Gleichstellung sind dabei unsere Leitgedanken.

Rassismus und Antisemitismus sind nicht das Ergebnis von individuellen Vorurteilen, sondern vor allem von einer Realität der Ungleichheit, die unsere Gesellschaft schon lange wie selbstverständlich durchzieht. Wir wollen Rassismus nicht individualisieren oder psychologisieren, sondern Einstellungen und Erfahrungen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang analysieren. Dafür nehmen wir die Strukturen der Gesellschaft, des Staates und der Ökonomie in den Blick.

Eine andere Welt ist möglich!

Wir beharren darauf, dass nichts bleiben muss, wie es ist. Wir sehen das Interesse an Seminaren als Interesse, mehr von der Welt zu verstehen und darin handlungsfähiger zu werden. Wir bauen auf die Entfaltung sozialer und politischer Kreativität der / des Einzelnen, um das Mögliche zu entwickeln. Wir wollen die Phantasie und das utopische Denken anregen und die Hartnäckigkeit fördern, Wünsche und Ideen in die Praxis zu überführen.

Rassismus durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche und so lassen sich Interventionsmöglichkeiten in allen Wirkungsfeldern entwickeln – auch ohne SpezialistIn zu sein. Überall, wo es Rassismus gibt, kann auch dagegen gehandelt werden. Bildung spielt eine wichtige Rolle dafür, wie Menschen die Welt und ihren Platz darin interpretieren und in welche Richtung sie diese verändern wollen.

Normalität als Problem – Aufforderung zur Selbstreflexion.

Rassismus ist ein Problem der Mehrheitsgesellschaft. Nicht-rassistische Bildungsarbeit setzt die Teilnahme von Menschen, die rassistisch diskriminiert werden, nicht voraus. Statt die Erklärung und Lösung für Rassismus bei „den anderen“ zu suchen, fordern wir zu einer Beschäftigung mit dem auf, was als „deutsch“ und „normal“ gilt. Warum nehmen Weiße die Erfahrungen Schwarzer mit Rassismus oft nicht wahr und übersehen ihre eigene Privilegierung? Warum blenden Schulungen zum Betriebsverfassungsgesetz das Thema Gleichstellung von MigrantInnen regelmäßig aus? Warum vergisst Bildungsarbeit oft, dass Frauen und Männer ihren betrieblichen Alltag in vielen Punkten aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen? Perspektivität, also die Erkenntnis, dass der eigene soziale Ort die Brille ist, durch die wir die Welt sehen, ist eine Grundlage unseres Ansatzes.

Antirassistische und interkulturelle Ansätze verbinden: für eine interkulturelle Gleichstellungspolitik.

Es ist nicht egal, ob man in dieser Gesellschaft weiß oder schwarz ist, ob man von anderen als Inländer oder Ausländer identifiziert wird. Statt für einen erfahrungsblinden Zuckerguss „wir sind alle gleich“, sprechen wir uns für die Wahrnehmung unterschiedlicher Erfahrungen und ihre Verortung in Machtbeziehungen aus. Dabei ist uns Gleichstellung wichtig, um „ohne Angst verschieden sein zu können“ (Theodor W. Adorno).

Alle Menschen gehören mehreren – sozialen, persönlichen, geschlechtlichen, religiösen … – Gruppen an, in denen sie sich verhalten. Wir lehnen es ab, Menschen auf Gruppenzugehörigkeiten festzuschreiben und daraus Identitäten abzuleiten. Dennoch halten wir es für erforderlich, zur Kenntnis zu nehmen, welche Zugehörigkeiten für welche Personen wichtig sind. Als Auszubildende, Lesbe oder Spätaussiedlerin erfahre ich andere Dinge denn als alleinerziehender Vater, Unternehmerin oder Mensch mit Behinderungen. Jede/r gehört dabei mehreren Gruppen an. Je nach Situation kann eine Gruppenzugehörigkeit wichtig sein oder auch vollkommen irrelevant.

Interkulturelle Gleichstellungspolitik setzt voraus, unterschiedliche Zugehörigkeiten und Lebenslagen von Menschen wahrzunehmen, ohne sie automatisch auf Herkunftskulturen zurückzuführen – sie zu „ethnisieren“. Interkulturelle Gleichstellungspolitik will nicht nur dazu beitragen, dass sich Menschen interessiert und neugierig als vielfältig gestrickte Individuen wahrnehmen, sondern vor allem ein gemeinsames Wissen über Ethnisierungsprozesse und Möglichkeiten der Antidiskriminierungsarbeit entwickeln.

Anerkennen heißt ernst nehmen – gegen Opferisierung.

Auch aus einer anti-rassistischen Perspektive werden MigrantInnen, Flüchtlinge, Schwarze etc. oft nur als passive Opfer von Rassismus und Ausbeutung gesehen, denen es zu „helfen“ gilt. Wir möchten dagegen alle Menschen als handelnde und verantwortliche Subjekte wahrnehmen. Rassistisch Diskriminierte haben nicht nur Erfahrungen mit Rassismus, sondern ebenso mit vielfältigen Formen des Widerstands dagegen. Die Ausblendung dieser widerständigen Geschichte, die Herabsetzung gesellschaftlich Benachteiligter zu bloßen Opfern und die Selbstphantasien wohlmeinender HelferInnen und FürsprecherInnen setzen falsche Perspektiven fort. Wir wollen statt dessen den Stimmen von MigrantInnen und den Erfahrungen rassistisch Diskriminierter Raum und Gewicht verschaffen – in der Gesellschaft wie im Seminar.

Rassistisch diskriminierte Menschen ernst zu nehmen bedeutet auch, sie als unterschiedliche und widersprüchliche Personen zu sehen. Das heißt, mgrantische SeminarteilnehmerInnen nicht nur als ExpertInnen für Rassismus anzusprechen, sondern ebenso ihre Erfahrungen aus allen anderen Lebens- und Arbeitsbereichen aufzugreifen, wie die anderer TeilnehmerInnen.

Ernst nehmen beinhaltet gegebenenfalls auch Kritik. So sollten beispielsweise antisemitische Äußerungen von Jugendlichen mit arabischem Hintergrund ebenso zum Thema gemacht werden wie antisemitische Äußerungen von Jugendlichen mit deutscher Herkunft.

Wie finde ich Anerkennung und Geld, wenn in unserer Gesellschaft die notwendige Arbeit von 20 % aller Menschen erledigt werden kann? Wie sieht meine Zukunft aus? Wie stelle ich mir ein sinnvolles Leben vor? Wie kann ich umgehen mit der Angst vor sozialem Abstieg, Krieg, Gewalt und den ständigen Verunsicherungen? Wie kann ich damit umgehen, dass ich in der Ausbildung in eine starre Hierarchie gepresst werde? Dass die Arbeit, die mich kaputt macht, auch Quelle meines Selbstbewusstseins ist? Wie soll ich solidarisch sein, wenn mein gesamtes Umfeld mir nahe legt, nur für mich zu sorgen?

Was ist das für eine Welt, in der fast alle diese Fragen haben? Warum wird uns Ausgrenzung statt Solidarität nahegelegt? Wie geht es anderen mit der Situation? Könnte alles auch ganz anders sein?

Historisch einordnen – Geschichte ist geMacht.

Rassismus und Antisemitismus haben eine jahrhundertelange Geschichte. Ohne einen Blick in die Geschichte verstehen wir weder Feindbilder noch die globale Ungleichheit richtig. Wir fragen: Woher kommt das, was bedeutet das heute, wie bewerte ich moralische Entscheidungen in der Geschichte, wo gibt es Vergleichbares in der Gegenwart? Auch hier gehen wir von den Erfahrungen der SeminarteilnehmerInnen aus. Menschen tragen Geschichte ins Seminar: als Kinder von Eltern, die bereits rassistisch oder antisemitisch diskriminiert wurden, als Kinder und Enkel von NS-Funktionären oder von Eltern, die sich über Rassismus noch nie Gedanken gemacht haben. Geschichte hat Zukunft: Wer Opfer war (oder diese Erfahrung vermittelt bekommen hat), wird Zukunft so gestalten wollen, dass er / sie selbst möglichst nicht mehr in eine Opfersituation kommt. Wer von tradierten Privilegien profitiert, rechtfertigt dies oft damit, dass das „schon immer so war“. Ein Blick auf die Geschichte fördert die Erkenntnis, dass Gesellschaft nicht statisch ist, sondern umkämpft, dass auch unsere heutigen Verhältnisse gemacht sind und auch anders aussehen könnten. Zahlreiche Materialien im Baustein setzen historisches Wissen ins Verhältnis zu gegenwärtigen Prozessen. Dabei werden Anknüpfungspunkte an Erfahrungen und Wissen der TeilnehmerInnen gesucht, aber nicht vorausgesetzt.

Schmerzhafte Widersprüche anerkennen, ohne panisch zu werden.

Wir sehen uns als Teil dessen, was wir kritisieren. Wir haben sehr widersprüchliche Interessen. Auch wenn ich über Konkurrenz schimpfe, bin ich froh, wenn bei meinem Bewerbungsgespräch wenige MitkonkurrentInnen da sind. Wenn ich meinen Chef für den Kapitalismus verantwortlich mache, ist das bequemer, als meine eigene Verstrickung in die kapitalistische Logik zu realisieren. Nimmt der andere mir die Arbeit weg, oder „soll er endlich arbeiten gehen“? Ärgere ich mich über die schweinefleischfreie „Extra-Wurst“ für muslimische Kollegen in der Kantine, oder darüber, dass es zu wenig Auswahl für alle gibt? Nervt mich der Kollege, der im Ramadan Extra-Pausen haben will, oder meine mangelnde Verfügungsgewalt über die Arbeitszeit? Wir wollen ermutigen, nicht panisch zu werden, wenn Widersprüche auftauchen, sondern bewusst die eigenen Widersprüchlichkeiten und ihre gesellschaftlichen Gründe zu analysieren, statt sie auf andere zu projizieren.

Widersprüchlich ist auch die Frage nach den Gründen für rassistisches oder antisemitisches Denken. Oft wird nach wirklichen oder vermeintlichen Gründen gesucht, um rassistische oder antisemitische Vorfälle zu entschuldigen. Das ist nicht unser Ansatz, denn jede Person bleibt für ihr Handeln verantwortlich. Dennoch fragen wir nach den Gründen, weil individuelles Handeln nicht im luftleeren Raum stattfindet. Wenn wir rassistisches und antisemitisches Denken nicht nur anklagen oder psychologisieren wollen, dann müssen wir die politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen verstehen, um (auch) sie verändern zu können.

Kein Bekenntnisantirassismus, sondern fragen: Was stört mich an Rassismus?

Die Betroffenen von Rassismus werden diese Frage einfach beantworten können, denn sie beschäftigen sich unfreiwillig ständig damit: wenn sie aufgrund ihrer Hautfarbe gehänselt werden, wegen ihres Nachnamens einen Job nicht bekommen, auf dem Weg in den Urlaub an der Passkontrolle besonders eingehend betrachtet werden, um eine Versetzung auf das Gymnasium kämpfen müssen, wenn ihre Perspektiven ausgeblendet werden und sie sich ständig dagegen zur Wehr setzen müssen.

Doch warum sollten sich alle anderen mit Rassismus beschäftigen wollen? Menschen lernen nur, wenn sie am Gegenstand Interesse haben.

Wir setzen darauf, dass Rassismus gegen die Vorstellungen von Gerechtigkeit vieler TeilnehmerInnen verstößt. Emotionale Empörung über die ungerechte Behandlung anderer ist ein wichtiger Motor zur Veränderung.

Die meisten Menschen haben eigene Erfahrungen mit struktureller Benachteiligung, Entmündigung oder Ausgrenzung: sei es als Kind, als abhängig Beschäftigte, als Behinderter, als Frau etc. An diese Erfahrungen knüpfen wir an, um sich vorstellen zu können, wie Rassismus und Diskriminierung funktionieren – auch ohne so zu tun, als wären alle Unterdrückungserfahrungen gleich.

Wir setzen weiterhin auf die Einsicht, dass Konflikte nicht gelöst werden können, wenn sie rassistisch interpretiert werden. Wer beispielsweise meint, Ausländer würden Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, kann weder die Ursachen von Arbeitslosigkeit verstehen, noch Utopien und wirkungsvolle Handlungsmöglichkeiten für eine andere gesellschaftliche Arbeits(ver)teilung entwickeln.

Wir halten Rassismus außerdem für ein Verlustgeschäft – auch für die „Profiteure“. Wir wollen die Erkenntnis fördern, dass, wer sich durch Rassismus Vorteile erhofft, selbstschädigend an der Reproduktion eines Netzes verinnerlichter Fremdkontrolle und Disziplinierung mitwirkt, durch die er / sie auch selbst kleingehalten und entmächtigt wird. Auch weiße christliche Deutsche sind immer wieder – als Frauen, SozialhilfeempfängerInnen, Straffällige … – mit der Frage konfrontiert, ob sie eigentlich noch dazu gehören. Wenn wir zulassen, dass Normen definiert werden, die den Ausschluss von Versorgung, Anerkennung und von der Gesellschaft regeln, bauen wir selbst mit an einem Druck, der uns nicht erst morgen, sondern bereits heute alltäglich auf die Füße fällt. Wir fordern ein, diese Diskussion bis zu dem Punkt fortzusetzen, an dem die rassistisch begründete eigene Bevorteilung tatsächlich in Frage gestellt wird: von Veränderungen im eigenen Leben bis zur Forderung, die Bevorzugung von Deutschen gegenüber AusländerInnen auf dem Wohnungs-, Arbeits- und Ausbildungsmarkt tatsächlich aufzuheben. Eine antirassistische Gleichstellungspolitik ist also nicht „billig zu haben“ – darauf müssen Bildungsträger und TeamerInnen achten.

Aus der Theorie alleine entwickeln sich noch keine neuen Perspektiven. Seminare sollen deshalb einen konkreten Ausblick und erste Erfahrungen ermöglichen, dass die Verbreiterung der eigenen Bündnisfähigkeit auch eine Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten darstellt. Bekannte und neue Formen solidarischen Handelns können entwickelt werden: Wenn ein Betrieb an einen anderen „Standort“ ausgelagert werden soll, können die betroffenen KollegInnen Kontakt zu einander aufnehmen, um erreichte Standards nicht nach unten zu konkurrieren. Wenn ein Unternehmen MigrantInnen als billige Arbeitskräfte beschäftigen will, können gewerkschaftliche Organisierung und gemeinsame Aktionen Erfolge jenseits von Abschottung aufzeigen.

Beispiele für Konzeptveränderungen mit dem Baustein

Die ehemalige Postgewerkschaft hatte in ihrem Jugend I Konzept ein Spiel zum Thema Produktionskreislauf. Wir haben zusammen mit den TeamerInnen überlegt, wie dort unterschiedliche Bezahlung und Zugangsbedingungen zum Betrieb thematisiert werden können. Im Ergebnis entstand ein neues „Gummibärchenspiel“, in dem Rassismus im Zusammenhang mit der Akkumulation von Kapital betrachtet werden kann ( AKTIVITÄTGummibärchen-Spiel. B.3, Seite 54 ).

Das IGM-Bildungszentrum Sprockhövel hat die Aktivität „Wie im richtigen Leben“ in die Konzeption für die Jugend-II Seminare aufgenommen. Die Aktivität erweitert die soziale Analyse von Chancenungleichheit um die Faktoren Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und körperlicher Leistungsfähigkeit. Zusätzlich hat das Bildungszentrum eine weitere Aktivität „Wie im richtigen Betrieb“ entwickelt, die innerbetriebliche Diskriminierungen in den Vordergrund stellt ( AKTIVITÄTWie im richtigen Leben. B.3, Seite 61 ).

Was? Unsere Inhalte

Um Rassismus in der Bildungsarbeit zum Thema zu machen, schlagen wir im Baustein zwei Wege vor: Erstens sollte Nicht-Rassismus ein Prinzip jedes Seminars sein. Zweitens sollten bestimmte Themen in den Seminaren gezielt vertieft werden.

Nicht-Rassismus als Prinzip

Dies bedeutet weniger und gleichzeitig mehr, als ständig über Rassismus oder Antisemitismus zu reden. Jedes Seminar soll dazu beitragen, Rassismus nicht zu reproduzieren, sondern abzubauen. „Nicht-rassistische Bildungsarbeit“ ist kein Versprechen und keine Zustandsbeschreibung, sondern ein engagierter Anspruch, unsere eigene Arbeit stets neu zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Die eigenen Konzepte überprüfen

Die vorliegenden Materialien sollen anregen, existierende Seminarkonzepte zu überprüfen, damit unsere Bildungsarbeit nicht rassistisch ist. Kein Handlungsbedarf? Wir denken, dass bei näherer Betrachtung viele unserer Bildungsangebote nach wie vor nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind. Oft werden Hierarchien innerhalb der Arbeitswelt oder innerhalb des Weltmarktes als gegeben hingenommen und damit die unterschiedlichen Wertigkeiten verfestigt, die an Menschen vergeben werden. Probleme werden verkürzt und personalisierend erklärt, statt zu reflektieren, wie komplex die Welt ist und wie die Einzelnen alltäglich in die Dinge verstrickt sind, die sie kritisieren. Wer nach Handlungsansätzen von Gewerkschaften fragt, geht oft unbewusst von einer Norm aus, welche die Belange derer, die nicht deutsch, männlich, heterosexuell, weiß und in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis integriert sind, in den Hintergrund treten lässt. Es gibt nur wenige migrantische TeamerInnen bei gewerkschaftlichen Seminaren. Nur selten schaffen wir in Seminaren den Raum dafür, dass jüdische oder migrantische TeilnehmerInnen über ihre alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus und Antisemitismus – auch innerhalb unseres Umfelds – und ihre Widerstände dagegen berichten können und vielleicht ein Seminar lang keine negativen Erfahrungen machen müssen. Deshalb bedürfen sowohl die Konzepte als auch die Rahmenbedingungen unserer Bildungsarbeit der Überprüfung und oft auch der Korrektur.

Nicht-Rassismus als Querschnittsaufgabe

Bereits bei der Seminarplanung muss Rassismus ebenso berücksichtigt werden wie andere komplexe und wichtige Themen. Rassismus ist nicht nur ein Thema für Antirassismusseminare, sondern steckt bereits – ob wir es wollen oder nicht – in fast allen gesellschaftspolitischen Seminaren. Ob Arbeit, Wirtschaft, Betrieb oder Sozialstaat: Immer geht es auch darum, zu fragen wie Rechte und Chancen verteilt sind. Es finden sich kaum Lebens- und Erfahrungsbereiche, in denen es nicht von Bedeutung ist, ob man schwarz oder weiß, Mann oder Frau, Herkunftsdeutscher oder „Ausländer“ ist oder dafür gehalten wird. Man bezieht auch dann zu Rassismus Stellung, wenn man das Thema im Seminar nicht berücksichtigt.

Nicht-Rassismus zum Prinzip zu machen, heißt, die Verbindungen zu Rassismus im Seminar zu bearbeiten und ihnen nicht aus dem Weg zu gehen. Ein Beispiel: Wer über die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit spricht und die Benachteiligung ausländischer Jugendlicher ausklammert, trägt zur weiteren Diskriminierung dieser Personengruppe bei. Erst wenn die Benachteiligung zum Thema gemacht und analysiert wird, können Forderungen zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit erhoben werden, die auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund berücksichtigen.

Teil B des Bausteins gibt Hilfestellung, wie das Thema Rassismus in allen Seminaren Berücksichtigung finden kann. Die Materialien sind dabei nach dem sogenannten Phasenmodell strukturiert (siehe auch F konzept – Zur Konzeption von Seminaren. Phasen- und Themenorientierung. seite 24). Auch die thematisch strukturierten Materialien in teil c können einbezogen werden.

Thematische Vertiefungen

Teil C des Bausteins vertieft neun Themen rund um das (zehnte) Kernthema Rassismus. Die umfangreichen Materialien sind geeignet, ganze Seminare oder Seminarabschnitte zu diesen Themen vorzubereiten. Die Aktivitäten, Arbeitspapiere und Hintergrundtexte können aber auch einzeln verwendet und in bestehende Seminarkonzeptionen integriert werden.

Von Vor- und anderen Urteilen

Kein Mensch kann ohne Vorurteile leben. Als individuelle Orientierungshilfen sind Vorurteile unumgänglich. Individuelle Vorurteile müssen deshalb klar von Feindbildern unterschieden werden. Wir problematisieren Feindbilder, weil sie immer auf die Abwertung von Personengruppen zielen und mit Ressentiments und Aggression aufgeladen sind.

Antisemitismus entgegentreten

Mehr und mehr Menschen begeistern sich für Verschwörungstheorien, die Anschlüsse an antisemitisches Denken bieten. Wenn ein Teilnehmer in einem Seminar äußert, viele Kapitalisten seien Juden und die Juden hätten zu viel Einfluss auf der Welt, ist das ein Beispiel dafür, dass die weltweite Zunahme des Antisemitismus ihren Niederschlag auch in unseren Seminaren findet.

Leider gibt es bisher für die außerschulische Bildungsarbeit nur wenige Materialien zu Antisemitismus, denn lange meinte man, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus quasi selbstverständlich in der antirassistischen und menschenrechtsorientierten Bildungsarbeit beinhaltet sei. Die Zunahme antisemitischer Einstellungen und die spezifische Form antisemitischer Denkweisen zeigen, dass dem Themenfeld Antisemitismus eine eigenständige pädagogische und inhaltliche Auseinandersetzung zukommen muss. Seit Antirassismus im Kontext des Nahost-Konfliktes auch gegen JüdInnen in Stellung gebracht wird, muss auch „antirassistische Propaganda“ daraufhin befragt werden, ob sie neue Feindbilder schafft.

Der Baustein bietet Hinweise, wie bei ökonomischen Analysen gegen antisemitisches Denken sensibilisiert werden kann. Angesprochen werden außerdem Verschwörungstheorien, tradierte (Feind-) Bilder und was es heißt, Antisemitismus zu erleben.

Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis

Rassismus ist aus unserer Sicht nicht nur eine falsche Einstellung von Individuen, sondern Teil unserer Geschichte, die sich in alltäglichen Handlungen genauso widerspiegelt wie in der Struktur von Institutionen, Sondergesetzen für „Ausländer“ oder gesellschaftlicher und betrieblicher Arbeitsteilung. Der Thementeil Rassismus widmet sich Erfahrungen mit Rassismus auf all diesen Ebenen und dem Widerstand dagegen. Wir wollen ForscherInnen über Rassismus werden und gemeinsam erkunden, wie Rassismus unser Leben beeinflusst, das von Privilegierten und das von Diskriminierten. Es geht dabei nicht um Schuld und Moral, sondern darum, zu verstehen, wie Rassismus funktioniert. Dazu gehört auch, die historische Entwicklung und die Veränderung verschiedener Formen von Rassismus zu betrachten. Beispielhaft wird dies im Abschnitt Kolonialismus getan. Die Schwerpunkte Antiziganismus und Whiteness (Weiss-Sein) vertiefen zwei lange vernachlässigte Aspekte.

„Das sagt man doch so.“ Rassismus in der Alltags- und Mediensprache

„Das sagt man doch so.“ Rassismus in der Alltags- und Mediensprache „Ich bin doch nicht dein Neger“, „der Bericht ist doch getürkt“, „du Jude“ hört man auch in unseren Seminaren. Schlagwörter und Schlagzeilen entfalten Schlag-Kraft. Sie sind ein Schlag ins Gesicht für einige und ein Mittel sich gut zu fühlen oder ein prima Witz für andere. Woher sprachliche Diskriminierungen kommen und wie sie in der Medienberichterstattung zu Brand-Sätzen werden, findet Ihr im Thementeil Sprache und Rassismus. Statt der diskriminierenden Fremdbezeichnungen greifen wir individuelle Selbstbezeichnungen und andere Begriffe auf, mit denen man sich gegen Sprachzumutungen wehren kann.

„Sicher ist sicher.“ Sicherheit, Gewalt und Kriminalität

Kriminalität und Gewalt machen allen Angst, auch dem, der Steuern hinterzieht oder seine Kinder schlägt. Schnell werden für dieses Angstthema „Ausländer“ verantwortlich gemacht. Wir zeigen, dass es neben individueller Gewalt auch strukturelle gibt, dass Angst nicht immer Angst vor Kriminalität ist, sondern anderswo Ursachen hat und, dass die Rede von der Ausländerkriminalität rassistische Propaganda ist.

Rechte Bilderwelten

Nicht immer sind es die anderen: die Nazis, die unübersehbaren RassistInnen oder diejenigen, die von autoritären Perspektiven träumen. Bilder aus der Grauzone zwischen Alltagskultur und rechter Ästhetik faszinieren (fast) alle. Wir fragen, warum und wie wir selbst angesprochen werden. Durch die Auseinandersetzung mit Botschaften und Wirkungsweisen von Bildern wollen wir Diskussionen anstoßen, zu einem souveränen und bewussten Umgang mit Bildsymboliken anregen und das Erkennen typischer Bilderfolgen erleichtern.

Kein schöner Land … Über Nation und Nationalismus

Neuere Studien verweisen auf einen Anstieg nationalistischer Orientierungen. So wird in einer aktuellen Untersuchung von Held und Bibouche festgestellt, dass unter Jugendlichen biologistisch begründeter Rassismus leicht abnimmt, nationalchauvinistische Tendenzen jedoch zunehmen. Die Forderung – auch an die Gewerkschaften – nach nationaler Abschottung wird als natürliche Bedingung für den eigenen oder gesellschaftlichen Erfolg verstanden. Nationalismus wertet das Eigene auf und formuliert aus der Position der Macht heraus Zugangsbeschränkungen zu lebenswichtigen Gütern. Deshalb müssen aus unserer Sicht nicht nur rassistische Orientierungen Fokus einer gesellschaftsanalytischen Bildungsarbeit sein, sondern auch Nationalismus und andere autoritäre und chauvinistische Orientierungen.

Wir problematisieren Nationalismus grundsätzlich. Denn Nation als Ordnungsvorstellung bedeutet immer Ein- und Ausschluss und innere Homogenisierung. Wir untersuchen, was eigentlich so typisch deutsch sein soll, wieso der Versuch, sich mit nationalistischen Schutzideologien vor gesellschaftlichen Zumutungen zu retten, nicht nur unsolidarisch ist, sondern auch schief gehen muss.

Movement! Migration, Flucht, Asyl, Illegalität

Im Thementeil Migration widersprechen wir der Idee, dass „MigrantInnen“ Eindringlinge in einen festgefügten Staat und eine festgefügte Gesellschaft sind. Wir zeigen vielmehr, dass die Bundesrepublik ein Immigrations-, Emigrations- und Binnenwanderungsland war und ist. Wir weisen auf die politischen, sozialen und individuellen Gründe für Migration auf der Suche nach einem besseren Leben hin. Uns interessieren die Alltagserfahrungen von MigrantInnen in Deutschland. Wir wollen wissen, was das Ausländer- bzw. Zuwanderungsgesetz und andere Sondergesetze für ihr Leben bedeuten und welche Vorstellungen hinter der Forderung nach „Integration“ stecken. MigrantInnen sind für uns nicht nur Opfer eines ungerechten Weltwirtschaftssystems. Sie sind Menschen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Statt nach den Argumenten der Gatekeeper (Grenzwächter / Türhüter) fragen wir nach den Perspektiven derjenigen, die Grenzen überschreiten (Gatebreaker). Unter der Rubrik „Leben in einer rassistischen Gesellschaft“ enthält dieser Thementeil deshalb zahlreiche biographische Texte.

Weltarbeit und Wirtschaftswelt

Rassismus hat auch ökonomische Hintergründe. Bei der Analyse von Rassismus muss deshalb die Ökonomie eingeblendet werden. Ökonomische Ungleichheiten findet man im deutschen Alltag ebenso wie in globalen wirtschaftlichen Zusammenhängen. Dabei existiert eine ungerechte Weltwirtschaft nicht erst seit gestern, sondern hat eine lange, koloniale Geschichte.

Im Unterteil „Globalisierung und Weltwirtschaft“ widmen wir uns sowohl dieser Geschichte als auch der Gegenwart: ihrer Entwicklung und Institutionen, ihren Folgen wie den vielfältigen Kämpfen, die weltweit stattfinden. Im Unterteil „Arbeit und Arbeitswelt“ beleuchten wir den Zusammenhang zwischen Arbeit und Ausgrenzung und die Funktion einer kapitalistischen Wirtschaft für die Reproduktion von Rassismus. Wir wollen dazu anregen, die Kategorie „Arbeit“ kritisch zu hinterfragen und Handlungsperspektiven gegen eine „Ellenbogengesellschaft“ und für eine gerechte und selbstbestimmte Gesellschaft zu entwickeln.

Diskriminierung – Und was man dagegen tun kann

In unserem auf Gleichstellung orientierten Ansatz geht es darum, Diskriminierungen, insbesondere in der Arbeitswelt, zu erkennen und dagegen aktiv zu werden. Wie können betriebliche Arrangements verändert werden, welche Interessen, auch solche von Beschäftigten, stehen einer Gleichstellungspolitik entgegen? Welche Handlungsmöglichkeiten bieten das neue Betriebsverfassungsgesetz und Betriebsvereinbarungen, Benachteiligungen aufzuzeigen und Antidiskriminierungsmaßnahmen zu entwickeln? Wo sind die Grenzen von Antidiskriminierungspolitik und was ist darüber hinaus erforderlich?

Wie? Unsere Methoden

Es gibt keine neutralen Methoden. Methoden werden immer auf einen (Lern-) Gegenstand angewendet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Zu Beginn der Kapitel und Methoden / Aktivitäten formulieren wir deshalb unsere Ausgangsthesen und Zielvorstellungen. Wir raten in jedem Fall dazu, die eigenen und möglicherweise unterschiedlichen Ziele im Team zu reflektieren, bevor Entscheidungen über den Einsatz oder die Variation von Materialien fallen. Will ich ein Gewaltproblem lösen? Will ich meinem Bildungsträger demonstrieren, dass meine Seminare „clean“ sind? Will ich etwas gegen Diskriminierung tun? Will ich andere zum Umdenken bringen? Will ich Klärungsprozesse unterstützen, mit denen die TeilnehmerInnen die Gesellschaft und ihren Platz darin selbst analysieren können, um etwas darin zu verändern?

Wir wollen mit den ausgewählten Materialien überraschen und anregen, gewohnte Sichtweisen zu verändern. Wir stellen Methoden vor, die Spaß machen, denn die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen muss nicht immer bedrückend und hochgradig moralisch sein. Schließlich wollen wir, dass die Welt besser wird. Eine partizipative Seminarkultur ermutigt, die eigene Meinung zu sagen und in der Auseinandersetzung mit anderen zu erweitern oder zu verändern. Wir verstehen nicht-rassistische Bildungsarbeit als einen gemeinsamen Klärungs-, Such- und Forschungsprozess.

Wir sind dabei gegen eine Beliebigkeit gegenüber der Realität. Wo die Lebensbedingungen von Menschen eingeschränkt werden, wo Rechte Anderer mißachtet werden, kann dies nicht mit dem Verweis auf unterschiedliche Sichtweisen abgetan werden. Die Methoden des Bausteins sollen insofern aufklärerisch sein, als dass sie – jenseits des Meinungsstreits – Wissen als Grundlage für die Einschätzung der gesellschaftlichen Realität vermitteln.

Wir haben Materialien mit unterschiedlichen Zugängen zusammengestellt: Subjekt- und gesellschaftsbezogene, lese- und sprachorientierte und visuelle ebenso wie aktions- oder körperbetonte. Wir plädieren für einen pluralen Zugang. Denn jede Gruppe, jede Lernsituation und jede/r Einzelne ist anders.

Prozesse und Entscheidungen gleichberechtigt aushandeln

Wir schlagen Methoden und Aktivitäten für alle Seminarphasen vor, die auf die aktive Beteiligung und Selbständigkeit der TeilnehmerInnen bauen und die ihre Aushandlungsfähigkeit fördern. Jedes Seminar soll auch eine Demokratiewerkstatt sein. Wir sind um eine Seminarkultur bemüht, in der die Teilnehmenden sich in ihren Beziehungen zueinander als gleichgestellt erleben können.

Auch im Seminarkontext haben nicht alle gleich gute Voraussetzungen und gleiche Chancen. Oft ist es wichtig, gesellschaftlich benachteiligte Positionen und Menschen zu unterstützen (Empowerment), um zu gewährleisten, dass alle Themen und Bedürfnisse im Seminar gleich viel Platz haben können.

Erfahrungen als Ausgangspunkt – Perspektiven wahrnehmen

Aus individuellen und kollektiv geteilten Erfahrungen kann viel über das Funktionieren der Welt abgelesen werden. Die eigene Lebenssituation ist der Ausgangspunkt aller Lernprozesse. Die Erfahrungen der TeilnehmerInnen stehen deshalb in unserem Konzept im Zentrum des Lernens. Sie sollen wahrgenommen, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede überprüft, im gesellschaftlichen Zusammenhang analysiert und zum Ausgangspunkt der Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten gemacht werden.

Zur Multiperspektivität gehört es, vielfältige Erfahrungen zu Wort kommen zu lassen. Wir legen Wert darauf, dass insbesondere die Erfahrungen derjenigen ins Seminar getragen werden, die sonst nur selten zu Wort kommen.

An Grenzen stößt der Erfahrungsansatz, wenn wir die Perspektiven von Menschen aufnehmen möchten, die nicht anwesend sind – möglicherweise selten oder nie an Seminaren teilnehmen. In wie viele Seminare gehen bspw. Erfahrungen und Sichtweisen von Sinti und Roma oder Obdachlosen ein? Dieser Ausschluss ist nicht nur für diejenigen ein Problem, die vom Zugang zu Bildung abgeschnitten werden, sondern auch für die, die teilnehmen können. Sie verpassen die Auseinandersetzung mit Menschen und ihren Perspektiven. Mit biografischen Texten und Informationen unter dem Motto „Ich sehe was, was du nicht siehst“ bemühen wir uns wenigstens auf der Ebene des Materials, diese Perspektiven ins Seminar zu bringen.

Die Perspektive von anderen wahrzunehmen muss nicht bedeuten, sie zu teilen. Eine bewusste Reflexion der eigenen Position hilft wahrzunehmen, dass die eigene Sicht auf die Welt nicht die einzig gültige ist. Das ist nicht immer einfach. Aus der Horizontverschiebung können sich bereichernde Perspektiven, aber auch neue Verunsicherungen ergeben.

Differenzen und Subjekt-Status anerkennen

„Vergesse, dass ich schwarz bin aber vergesse nie, dass ich schwarz bin“, schrieb die Schriftstellerin Pat Parker. Ihr irritierender Appell fordert, Unterschiede einerseits wahrzunehmen, andererseits aber nicht in allen Lebenslagen als Trennlinie in den Raum zu stellen. Wir empfehlen einen genauen und situationsabhängigen Blick auf Gemeinsamkeiten und Differenzen.

Menschen sind aktive GestalterInnen ihrer Lebenswirklichkeit. Sie entscheiden, als was sie sich selbst verstehen, aber sie sind in diesem Prozess nicht frei von gesellschaftlichen Zwängen. Wir sprechen Menschen in erster Linie als Subjekte an, und nicht automatisch als Träger von Gruppenkulturen. Wenn Menschen sich selbst auch als Zugehörige von Gruppen verstehen, so muss das in unseren Seminaren berücksichtigt werden.

Zuschreibungen rekonstruieren, um sie zu dekonstruieren

Auch im Baustein werden Individuen an vielen Stellen als Mitglieder von Gruppen identifiziert. Wir zeichnen Vorurteile und Zuschreibungen nach, um sie zu analysieren. Bei jedem Zitieren solcher bereits existierenden „Bilder im Kopf“ besteht die Gefahr, sie erneut zu aktivieren und festzuschreiben, was hinterfragt werden soll. Im Baustein reproduzieren wir Stereotypen nur mit dem Ziel, sie zu dekonstruieren und nur dort, wo es für das Verständnis von Rassismus oder Antisemitismus nötig scheint.

Gesellschaft komplex analysieren

Wir wollen die Zusammenhänge und die Geschichte kennen lernen, in denen Gruppenbildungsprozesse stattfinden. Uns interessiert, wie Menschen zu „wir“ und „den Anderen“ gemacht wurden. Der Baustein bietet Methoden für eine schrittweise entwickelte Analyse der Gesellschaft und der strukturellen Voraussetzungen von Rassismus. Individuelle Erfahrungen analysieren wir im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen. Dabei soll die Wirklichkeit in mikroskopischen Prozessen im Seminar betrachtet werden, Komplexität aber nicht zugunsten einfacher populistischer Gut-Böse-Rechnungen reduziert werden.

Sich ein Bild machen: Visualisierung

„Bildung kommt von Bild. Wenn es von Buch käme, hieße es Buchung.“ (Hesch / Meier 1990) Viele Methoden des Bausteins beinhalten Schritte der Visualisierung und Darstellung und regen dazu an, sich mit der Realität mit allen Sinnen auseinander zu setzen. Die Teilnehmenden sind dabei selbst aktiv und sinnlich erfahrbar daran beteiligt, die Ist-Situation zu rekonstruieren und Soll-Situationen zu entwerfen.

Utopien entwickeln

Viele Methoden des Bausteins bieten Raum zur Entwicklung von Utopien. Oft wird erst aus einer Perspektive, die das Bestehende überschreitet, deutlich, was uns an der gesellschaftlichen Normalität einengt, welche Wünsche und Erwartungen, aber auch welche unerwarteten Handlungsmöglichkeiten wir haben. Utopisches Denken sollte niemals mit Verweis auf die Realität abgebrochen werden. Vielmehr geht es darum, nach Wegen zu suchen, wie aus Utopien Wirklichkeit werden kann. Da die Veränderung geübter Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster auch als Bedrohung empfunden werden kann, ist es wichtig, Ängste und Befürchtungen ernst zu nehmen.

Handeln!

Die Methoden des Bausteins sind geeignet, Probleme und Konflikte auf ihre Ursachen hin zu untersuchen, damit die richtige Ebene für ihre Lösung gefunden werden kann. Strategien, aus einer Minderheitenposition heraus zu handeln, können entwickelt werden. Der Umgang mit widersprüchlichen und komplexen Situationen kann erprobt werden.

Wo immer es möglich ist, finden sich im Baustein Tipps, wie eigene Handlungsschritte entwickelt werden können und Vorschläge für praktische Handlungsmöglichkeiten. Denn die Welt kann nicht nur anders gedacht, sie kann auch anders gemacht werden.

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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